Sudetendeutsche Frage kann nur auf europäischer Ebene gelöst werden

Landesversammlung der SL-Hessen in Gießen-Kleinlinden am 15. März 2008

Das Selbstbestimmungsrecht der Völker stand im Mittelpunkt der Landesversammlung der Landesgruppe Hessen der Sudetendeutschen Landsmannschaft in Gießen-Kleinlinden.

Der Präsident der Landesversammlung, Reinfried Vogler, nannte den 4.März 1919 als "den Volkstrauertag der Sudetendeutschen", als friedliche Demonstrationen der Sudetendeutschen durch das tschechoslowakische Militär blutig niedergeschlagen wurden. Auf das Jahr 1938 eingehend, betonte Vogler, das Münchner Abkommen sei für die Sudetendeutschen die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts gewesen. "Wir konnten aber nichts dafür, dass es von einem verbrecherischen System missbraucht wurde." 1968 hätten die Tschechen auf Freiheit gehofft. Die Truppen des Warschauer Paktes zerschlugen jedoch diese Hoffnung. Heute komme es darauf an, die Erkenntnisse der Geschichte der Öffentlichkeit bewusst zu machen und für das Selbstbestimmungsrecht einzutreten.

Landesobmann Alfred Herold gab einen Überblick über die Aktivitäten des vergangenen Jahres. Dabei stellte er besonders den Tag der Selbstbestimmung, den Tag der Vertriebenen beim Hessentag, sowie den Tag der Heimat im Biebricher Schloss in Wiesbaden heraus. Er verwies besonders auf die gute Zusammenarbeit mit dem Bund der Vertriebenen.

Der Landesobmann dankte im diesem Zusammenhang der hessischen Landesregierung, vor allem Ministerpräsident Roland Koch, für die bisherige, große materielle und ideelle Unterstützung der Verbandsarbeit. Zu den aktuellen politischen Verhältnissen nach der Landtagswahl in Hessen bemerkte Herold, der Ausgang der Wahl könne die Vertriebenenverbände nicht unberührt lassen. Er wies auf die Überparteilichkeit der SL hin. "Überparteilich heißt nicht unpolitisch", erläuterte der Landesobmann. Er sei nicht müde geworden, vor dem 27.Januar 2008 öffentlich zu sagen, dass diese Wahl für die Vertriebenen in Hessen von existenzieller Bedeutung sei. Der Wähler habe jedoch entschieden. Keiner wisse, wie sich die politische Lage entwickeln werde. Tatsache bleibe, "dass die Lage für uns Vertriebene nicht besser wird", stellte er fest. Es habe keinen Sinn wie "das Kaninchen auf die Schlange zu starren. Wir müssen unsere Arbeit mit Tatkraft und Gelassenheit fortsetzen", ermunterte der Landesobmann die Delegierten.

Die Hauptrede hielt der Generalsekretär des Sudetendeutschen Rates und Vorsitzender der Seliger-Gemeinde, Albrecht Schläger, zu dem Thema: "Die Sudetendeutschen- eine Volksgruppe in Europa".
Er skizzierte das Verhältnis zwischen Deutschen und Tschechen im Laufe der Geschichte. Dabei untersuchte er besonders die Verhältnisse in der Tschechoslowakei vor 1938. Die Sudetendeutschen seien auf vielen Feldern benachteiligt worden. Nach den Ausführungen von Schläger hätte 1938 die Masse der Sudetendeutschen an das Selbstbestimmungsrecht geglaubt. Es folgten jedoch anstatt Demokratie und Selbstverwaltung, Gestapo und Konzentrationslager, legte Schläger dar. Selbst die Anhänger Konrad Henleins hätten darunter zu leiden gehabt. So entfernte man Anhänger Henleins aus führenden Positionen und ersetzte sie durch Nationalsozialisten aus dem "Reich".

Weiter beleuchtete Schläger die Zeit während der Vertreibung sowie die Zeit danach. Nach dem Fall des Eisernen Vorhanges habe man auf der wirtschaftlichen Ebene viel erreicht. In politischer Hinsicht gebe es noch große Probleme. Hier führte er die Benesch-Dekrete sowie das Straffreistellungsgesetz ins Feld. Diese Normen gehörten nicht nach Europa. Eine bilaterale Lösung sah er in der weiteren Zukunft nicht. Die Probleme könnten nur auf europäischer Ebene gelöst werden. Allerdings bestehe auf der unteren Ebene eine gute deutsch-tschechische Zusammenarbeit. Dazu würden auch sudetendeutsche Organisationen beitragen.

Weiter setzte sich Schläger entschieden für das Zentrum gegen Vertreibungen beziehungsweise für das "Sichtbare Zeichen" der Bundesregierung ein. Er lobte Ministerpräsident Roland Koch dafür, dass Hessen als erstes Bundesland die Patenschaft über das Zentrum übernahm.

Zum Vorhaben der Bundesregierung ein "sichtbares Zeichen" in Bezug auf Flucht und Vertreibung zu setzen, erklärte der Referent, das Konzept dürfe nicht über die Köpfe der Betroffenen hinweg entwickelt werden. Es könne nicht sein, dass man die Vertriebenen wie Angehörige behandele, für die man sich schämen müsse.

In seinem Grußwort wies der Landesbeauftragte der Hessischen Landesregierung für Heimatvertriebene und Spätaussiedler, Rudolf Friedrich, auf die bisherige materielle und ideelle Förderung der Vertriebenenverbände durch die Regierung Koch hin. Das sei nicht "pflichtgemäß, sondern aus innerer Überzeugung geschehen", betonte er. Die politische Arbeit werde nach der Landtagswahl schwieriger. "Solange Koch im Amt ist, wird er weiter seine Pflicht gegenüber den Heimatvertriebenen erfüllen", bekundete der Landesbeauftragte unter großem Beifall. Das werde jedoch nicht so leicht wie in den früheren Jahren sein, fügte er hinzu.

Friedrich forderte die Vertriebenenverbände auf, Überzeugungsarbeit auf allen politischen Ebenen zu leisten. Das Anliegen der Vertriebenen müsse "gesehen und bewertet" werden. Große Bedeutung maß der Landesbeauftragte der grenzüberschreitenden Arbeit der Vertriebenenverbände zu.

Der Stadtverordnetenvorsteher von Gießen, Dieter Gail, überbrachte die Grüße der Stadtverordnetenversammlung sowie des Magistrats. Er lobte die Aufbauarbeit der Heimatvertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Sudetendeutschen bezeichnete er als Brückenbauer zu den östlichen Nachbarn.

Der Kreisobmann der gastgebenden Kreisgruppe, Alfred Klaner, sprach sich in seinem Grußwort für eine Annäherung an die Tschechische Republik auf der Grundlage des Rechts aus. Landesobmann Alfred Herold verlieh Alfred Klaner das Große Ehrenzeichen der SL.

Auch fand ein Wechsel beim Amt des Vermögensverwalters der SL-Landesgruppe Hessen statt. Rudolf Löffler legte letztmalig die Haushaltsrechnung 2007 vor. Er übergab sein Amt an Frank Dittrich. Rudolf Löffler war seit 1975 Vermögensverwalter. Landesobmann Alfred Herold würdigte die langjährige Arbeit Löfflers und dankte ihm für sein besonderes Engagement.

Der neue Vermögensverwalter, Frank Dittrich, ist sudetendeutscher Abstammung. Sein Vater kommt aus dem Schönhengstgau.

Mit einer Entschließung, die einstimmig angenommen wurde, äußerten die Delegieren ihr großes Unverständnis über die Weigerung der Regierung der Tschechischen Republik mit der Bundesregierung ein Abkommen über die würdige Bestattung von Opfern abzuschließen, die nach dem Zweiten Weltkrieg bei Massakern oder in tschechischen Konzentrationslagern umkamen und heute noch in Massengräber verscharrt sind. Nach Auffassung der Landesversammlung hat die Bundesregierung die deutschen Interessen in dieser Frage nicht hinreichend vertreten.

Weiter forderten die Delegierten die Aufhebung der Benesch-Dekrete und des Straffreistellungsgesetzes sowie die Heilung des Vertreibungsunrechts durch einen für beide Seiten tragbaren Ausgleich. Die Landesversammlung dankte dem bayerischen Ministerpräsidenten, Dr. Günther Beckstein, dass er in Prag die Benesch-Dekrete als "offene Wunde" sowie als einen Verstoß gegen das Völkerrecht anprangerte.

Adolf Wolf
im März 2008