SL Hessen

Für Frieden und Gerechtigkeit

Sudetendeutsche im Kreis Groß-Gerau begehen Tag der Selbstbestimmung

"Wir gedenken der Menschen, die am 4. März 1919 bei der Ausübung ihres Rechts auf Selbstbestimmung in Orten des damaligen Sudetenlandes im heutigen Tschechien gewaltsam ihr Leben lassen mussten." So leitete Helmut Brandl seine Ansprache bei der Gedenkfeier zum Tag der Selbstbestimmung am Aussiger Friedhofskreuz in Maria Einsiedel ein. Der Wallfahrtsort habe wie kein anderer für die deutschen Heimatvertriebenen in Südhessen eine besondere Bedeutung: Zur Muttergottes nach Maria Einsiedel pilgern alljährlich nach den Worten Brandls seit der Vertreibung aus ihrer Heimat vor allem Gläubige aus dem Sudetenland.

Der Obmann der sudetendeutschen Landsmannschaft (SL) im Kreis Groß-Gerau erläuterte vor den Teilnehmern den historischen Hintergrund des Gedenktages. Anlass für die Demonstrationen im Sudetenland gab die Nationalratswahl zur neuen Republik Deutsch-Österreich nach dem Ende der Donaumonarchie. Die Ermordeten hätten gegen die Entstehung eines damals ersten tschechischen Staates demonstriert, der am 28. Oktober 1918 auf undemokratische Weise nach dem Ersten Weltkrieg entstanden war.

Die tschechoslowakischen Organe hatten die Teilnahme der Deutschen an den Wahlen unterbunden, obwohl die Prager Unterhändler bei der Friedenskonferenz die Einführung von Freiheit und Demokratie für die Angliederung der deutschsprachigen Gebiete zugesichert hatten. Brandl zitierte den tschechischen Politiker Rašin: "Das Selbstbestimmungsrecht ist eine schöne Phrase - jetzt, da die Entente gesiegt hat, entscheidet die Gewalt."

"Die deutschen Gebiete Böhmens und Mährens mit 3,5 Millionen Menschen wurden dabei gegen ihren Willen unter Bruch des Selbstbestimmungsrechts in das neue Staatsgebilde gezwungen." Dies sei das Ende des meist friedlichen Zusammenlebens verschiedener Volksgruppen gewesen, "und gipfelte in der Vertreibung der Sudetendeutschen aus ihrer Heimat", sagte der SL-Obmann weiter. Als Gutachter der Vereinten Nationen habe der österreichische Völkerrechtler Felix Ermacora nachgewiesen, "dass die Vertreibung der sudetendeutschen Volksgruppe Völkermord im Rechtssinn darstellt".

Helmut Brandl bedauerte: "In der deutsch-tschechischen Erklärung von 1997 wird nur verharmlosend von ‚Unrecht' gesprochen." Unrecht war auch ein Thema für Pfarrer Heinrich Bosse im vorausgegangenen Gottesdienst: "Wir dürfen das nicht vergessen." Der Gedenktag sei wichtig, da "wir uns mit der Bitte um Frieden auch zu unserem Gott bekennen". Auch heute komme es täglich zu Unterdrückung und Vernichtung wehrloser ethnischer Minderheiten im Zuge territorialer Veränderungen durch kriegerische Handlungen in vielen Regionen unserer Erde, empörte sich Brandl. Mit dem Tag der Selbstbestimmung wollen die Sudetendeutschen ein Zeichen setzen für Toleranz und Solidarität und gegen die Unterdrückung von Minderheiten, so Brandl. Die Heimatvertriebenen träten für Volksgruppenschutz, das Recht auf die Heimat als Grundrecht aller Menschen und für die Aussöhnung der Völker ein. "Damit leisten wir einen Beitrag für Frieden und Gerechtigkeit in Europa und weltweit."

Das kam auch in den Fürbitten zum Ausdruck, die eine Abordnung der Egerländer Gmoi aus Kelsterbach vortrug: "Mache uns bereit, denen aufrichtig zu vergeben, die an uns schuldig geworden sind." In das Totengedenken bezog Hans-Josef Becker, Vorsitzender des Bundes der Vertriebenen in Gernsheim, die Opfer der Gewalt insbesondere in Syrien, dem Irak und Afghanistan ein. Die musikalische Gestaltung der Gedenkfeier hatte die Musik- und Gesangsgruppe Biebesheim/Dornheim des Bundes der Vertriebenen übernommen.

Text und Fotos: sl-press/groß-gerau/2017
März 2017