Tschechische Jugend befasst sich mit der Vertreibung der Deutschen

Seminar des Deutsch-Europäischen Bildungswerks in Prag

Die Methode des Deutsch-Europäischen Bildungswerks Wiesbaden (Bildungseinrichtung des Landesverbandes Hessen des Bundes der Vertriebenen), ein Seminar an verschiedenen Orten durchzuführen, hat sich bewährt. Neben Komotau (siehe Bericht) fanden weitere Vorträge auch in Prag statt.
Einen Höhepunkt bildete der Besuch des Goethe-Instituts. Hier kamen Vertreter verschiedener Vereinigungen zu Wort und zwar der Stiftung "Brücke/Most", der Bürgervereinigung "Antikomplex" und des "Deutsch-Tschechischen Jugendforums".

Die Stiftung Brücke/Most

Eva Engelhardt, Leiterin des Prager Büros der Stiftung Brücke/Most, skizzierte die Aufgaben der Stiftung. Dazu zählten die Bereiche deutsche und tschechische Kultur, Bildung und Begegnung sowie aktuelle Informationen über die Tschechische Republik. Weiter verwies sie auf die Ausstellung "Nahe und ferne Heimat- 60 Jahre Flucht und Vertreibung". Auch würden Zeitzeugengespräche geführt.

Das Sudetenland kann nicht wieder so besiedelt werden wie vor 1945

In eine lobenswerte Initiative der tschechischen Jugend führte der Geschäftsführer der Bürgervereinigung "Antikomplex", Ondrej Matejka, ein. Die Vereinigung konzipierte die Ausstellung "Das verschwundene Sudetenland". Der Katalog zur Ausstellung sei in der Tschechischen Republik ein Bestseller geworden. "Antikomplex" komme es darauf an , die Aufarbeitung der deutsch-tschechischen Geschichte bei der tschechischen Bevölkerung in Gang zu bringen. Das Prinzip der Ausstellung sei einfach, es würden images vor und nach der Vertreibung gegenübergestellt. Als Ursache für den Verfall und dem Abriss von Gebäuden nannte Matejka, dass die Sudetengebiete nur mit sechzig Prozent der vertriebenen Bevölkerung besiedelt werden konnten. Dadurch seien 400 Dörfer, 3.000 Gemeindeteile und Einödhöfe verschwunden. Das Landschaftsbild habe sich negativ verändert. Bei den Tschechen gelte das Sudetenland als verwüstet. Die dort angesiedlelten Menschen hätten sich nicht heimisch gefühlt. Viele der damaligen "Neusiedler" äußerten den Wunsch, sich in ihrer Heimat, in ihrem Herkunftsgebiet, begraben zu lassen. Sie konnten keine Wurzeln fassen.

Einen Teil der Gebäude benutzte man als Ferienhäuser. Dadurch konnte der vollständige Verfall aufgehalten werden. Nach der Prognose von Ondrej Mateijka kann das Sudetenland heute nicht wieder so besiedelt, dass die Verhältnisse wie vor der Vertreibung entstehen. Es zeichne sich jedoch eine positive Entwicklung ab. So seien Naturschutzgebiete entständen. Weiter würden Golfplätze ausgewiesen und Pensionen eröffnet. Man könne von einem wirtschaftlichen Boom sprechen.

Jugend pflegt grenzüberschreitende Kontakte

Über die Pflege der grenzüberschreitenden Kontakte referierten Bianka Lipanska, Jan Zajie und Martin Trapp vom Deutsch-Tschechischen Jugendforum. Als Ziele nannten sie: Die Vertretung der Jugend am deutsch-tschechischen Dialog, bessere Verständigung zwischen Deutschen und Tschechen, Wecken von Interesse bei den Jugendlichen im Nachbarland, die konstruktive Auseinandersetzung mit den Problemen der deutsch-tschechischen Nachbarschaft und Erarbeitung von Lösungsmöglichkeiten. So habe man auch untersucht, wie die Nachkriegszeit in den Schulbüchern in Deutschland dargestellt wird. Nach ihren Erfahrungen endet der Geschichtsunterricht meist im 17. Und 18. Jahrhundert. Für das 20. Jahrhundert sei keine Zeit. Lehrer fürchteten sich vor einer Diskussion. Junge Lehrer hingegen seien offener.
Als weitere Projekte führten sie an: Europa, Migration, Zivilgesellschaft, Kultur. Im Bereich der Kultur wolle man sich mit deutschsprachigen Schriftstellern befassen wie mit Franz Kafka und Egon Erwin Kisch.

"Opfer und Täter müssen zusammenkommen"

Literarisch ging es bei dem Seminar weiter. Josef Skrabek, der Autor des Buches "Die gestrige Angst", beleuchtete das deutsch-tschechische Verhältnis aus seiner Sicht. Die Vertreibung sei bei der jungen Generation noch lebendig, stellte er fest.
Jede Seite sehe die Vergangenheit anders. Dieses Problem könne dadurch gelöst werden, dass Opfer und Täter zusammenkommen und sich mir der unrühmlichen Vergangenheit auseinandersetzten. Zeitzeugen von beiden Seiten müssten sich zusammenfinden, sonst sei es zu spät. "Der Pathologe weiß alles, aber zu spät", war seine Schlussfolgerung.

Medien spielen grenzüberschreitende Kriminalität hoch

Mit einem sensiblen Thema befasste sich die Projektbeauftragte der Europäischen Beratungsstelle für Straffälligen- und Opferhilfe, Dr. Paula Tischer. Sie stellte die Entwicklung der Kriminalität auf der sächsisch-tschechischen Seite der Grenze dar.
Nach ihren Erfahrungen wird diese Problematik in den Medien hochgespielt. Oft würden die tschechischen Besucher die deutschen Vorschriften nicht kennen. Es dürfe aber nicht verkannt werden, dass es auch Schwerstkriminalität gebe. Hier führte sie erwerbsmäßigen Bandendiebstahl, Autodiebstahl und Schleusungen an. Weniger häufig komme Prostitution vor.

Deutsche Minderheit wird von den politischen Parteien nicht wahrgenommen

Einen intensiven Einblick in die Geschichte der Sudetendeutschen gab Walter Piverka. Er wies auf Fehlentwicklungen nach Gründung der Tschechoslowakei hin.

Piverka verurteilte in scharfer Form die "wilden Vertreibungen" im Jahre 1945. Zur Vertreibung nach dem Potsdamer Protokoll führte er aus, von der Vertreibung habe man Mischehen, Antifaschisten und Facharbeiter ausgenommen. Die Vertreibung sei 1948 eingestellt worden. Nach der Übernahme der Macht durch die Kommunisten wollte man die Sudetendeutschen für den Aufbau des Kommunismus gewinnen.

Das führte jedoch zu keinem Erfolg. Die zurückgebliebenen Deutschen hätten aber den Wunsch gehabt, auszureisen, was ihnen verweigert wurde. Erst der Prager Frühling zeigte Lichtblicke für die nicht vertriebenen Deutschen. Erst nach der Wende in der Tschechoslowakei trat eine Verbesserung der Verhältnisse ein. Vom Bürgerforum sei er als Kandidat für das Parlament aufgestellt und auch gewählt worden. Piverka beklagte, dass heute keine der Parteien in der Tschechischen Republik bereit sei, bei Wahlen einen Kandidaten von der deutschen Minderheit aufzustellen.

Piverka konnte jedoch der Deutsch-Tschechischen Erklärung einen positiven Aspekt abgewinnen. So sei der Bundesrepublik Deutschland die Möglichkeit eröffnet worden, die deutsche Minderheit zu unterstützen, ohne dass die tschechische Seite von einer Einmischung in innere Angelegenheiten hätte sprechen können.

Älteren Tschechen muss Angst genommen werden

Dr. Martin Dzingel gab einen geschichtlichen Rückblick über das Verhältnis zwischen Deutschen und Tschechen. Bei älteren Tschechen sei der Begriff "Sudetendeutsche" heute noch belastet. Seiner Auffassung müsste diesen Tschechen die Angst genommen werden. Dr. Dzingel zeigte den Teilnehmern die Sehenswürdigkeiten von Prag. Das alte Prag aus der Zeit von Egon Erwin Kisch und Franz Kafka gibt es nicht mehr. Die Stadt wird von Touristen überflutet, so die Meinung des Autors dieses Beitrages.

Das Seminar wurde von Deutschen und Tschechen im Hinblick auf die deutsch-tschechische Verständigung positiv beurteilt. Seminarleiter Hartmut Saenger zeigte sich sehr zufrieden.

Adolf Wolf (Text u. Fotos)
im Juli 2008