Die Heimatvertriebenen waren nach dem Zweiten Weltkrieg in Hessen ein stabilisierender Faktor

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden durch Flucht und Vertreibung Menschenmassen in das zerstörte Deutschland hineingepresst. Hessen nahm bis zum 1. Juni 1949 652.298 Heimatvertriebene auf. Zu der damaligen Wohnungssituation heißt es in einem Bericht der Hessischen Landesregierung:
"Der Wohnraum Hessens ist zu 18,1 Prozent durch Kriegseinwirkungen zerstört und zu 2,4 Prozent durch die Besatzungsmacht in Anspruch genommen. Die Zerstörung betrifft hauptsächlich den für Vermietung und Unterteilung geeigneten städtischen Wohnraum. Trotzdem 20,5 Prozent des günstigen Wohnraums nicht zur Verfügung stehen und die Bevölkerung Hessens um 25 Prozent angewachsen ist, befinden sich in Hessen nur 2.031 Heimatvertriebene in staatlichen Lagern. Selbst zwei Drittel der Ende 1948 eingewiesenen Dänemarktransporte konnten bereits im besten Einvernehmen mit den kommunalen Behörden untergebracht werden".

Die amerikanische Militärregierung befürchtete, die ohne Hab und Gut eingeströmten Menschen könnten einen sozialen Sprengsatz darstellen. Sie beauftragten die Wissenschaftler Prof. MacCartney-Oxford und Dr. Isaak-London das Flüchtlingsproblem zu untersuchen. In ihrem Bericht stellten sie fest: "Dass das Einströmen der Flüchtlinge nicht zu einem absolutem und unentwirrbaren Chaos führte, sondern ordnungsgemäß durchgeführt werden konnte, erscheint als ein Wunder". Weiter kamen die Wissenschaftler zu dem Schluss, dass die häufiger zwischen Quartiergebern und Quartiernehmern auftretenden Reibungen in der Regel nicht darauf zurückzuführen sind, dass der Quartiernehmer ein Flüchtling ist. "Die Ursache der Misshelligkeiten und des Streits liegt in der Regel in der allgemeinen Enge der Wohnverhältnisse. Das Bauernhaus ist für Vermietung nicht eingerichtet. Der Bauer ist es nicht gewohnt, eine fremde Familie in seinem Anwesen zu wissen", wird dazu ausgeführt.

Nach einer 1947 in 19 hessischen Gemeinden durchgeführten Repräsentativzählung lebten 80 Prozent aller ortsansässigen Heimatvertriebenen in gutem Einvernehmen mit den Vermietern.

Die Heimatvertriebenen waren auch ein politisch stabilisierender Faktor. Wie die Kommunalwahlen im Jahre 1948 zeigten, hatten rechts- und linksextreme Parteien keine Chance. In dem Bericht der Hessischen Landesregierung wird dazu ausgeführt: "Die Eingliederung der Vertriebenen in die Gemeinderäte und Stadtparlamente und Kreistage vollzog sich anlässlich der Kommunalwahlen am 21.4.1948. Die Vertriebenen erhielten im Rahmen der politischen Parteien 17,7 Prozent bzw. 19,3 Prozent aller Sitze."

Die Gemeindevertreterwahlen brachten folgendes Ergebnis:

davon Vertriebene = Prozent
Sitze insgesamt 24. 524 4.756 19,30
SPD 6. 206 1.184 19,07
CDU 4.427 870 19,60
LPD 1.198 194 16,10
KPD 614 33 5,3
NPD 41 2 4,80
Wählergemeinschaften 12.038 2.473 20,50

Bei den Landtagswahlen im Jahr 1954 erzielte die Vertriebenenpartei GB/BHE (Gesamtdeutscher Block/ Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten) eine Wahlergebnis von 7,7 Prozent (7 Sitze). KPD und NPD kamen nicht in den Landtag.

SPD und GB/BHE bildeten eine Koalition. Das Bündnis endete im Jahre als die Vertriebenenpartei an der Fünfprozentklausel scheiterte.

Die Partei GB/BHE stellte in der hessischen Landesregierung zwei Minister und zwar Gotthard Franke (Arbeit, Wirtschaft, Verkehr) und Gustav Hacker (Landwirtschaft, Forsten).

Adolf Wolf
Mai 2008