Keine Berührungsängste gegenüber Sudetendeutschen

Seminar des Deutsch-Europäischen Bildungswerks in Budweis/Ceske Budejovice

Die Seminare des Deutsch-Europäischen Bildungswerks in der Tschechischen Republik sind inzwischen schon zur Tradition geworden. Seit 1991 fanden dort 48 solcher verständigungspolitischen Seminare statt. Die Abschlussveranstaltung des Jahres 2007 wurde in Budweis durchgeführt.

Budweis vefügt über gute Beziehungen zu Deutschland

Der stellvertretende Oberbürgermeister der Stadt Budweis, Rudolf Vodicka begrüßte im Rathaus die Seminarteilnehmer sehr freundlich. Er verwies auf die gut nachbarschaftlichen Beziehungen zu Deutschland und insbesondere auf die Partnerschaft zu Passau. Eine wirkliche Kooperation fand erst nach der Wende statt, stellte er fest. Davor hätten nur Kontakte zwischen einzelnen Bürgern bestanden. Der stellvertretende Oberbürgermeister hob besonders hervor, im Partnerschaftsvertrag sei die Patenschaft der Stadt Passau über die Böhmerwälder erwähnt worden. Dieser Passus habe zu erheblichen politischen Diskussionen in Budweis geführt. Schließlich siegte die Vernunft. Rudolf Vodicka erwähnte, dass er teilweise deutsche Wurzeln habe. Seine Großmutter sei Deutsche gewesen.

Zur wirtschaftlichen Entwicklung der Stadt führte er aus, der EU-Beitritt hätte viele Vorteile gebracht. Ängste und Befürchtungen bewahrheiteten sich nicht. So siedelten sich deutsche Firme an. Die Firma Bosch schaffte 2.000 Arbeitsplätze in Budweis.

Vergangenheit muss wiederentdeckt werden

Einen besonderen Willkommensgruß hatte sich der Bürgermeister der Stadt Borovany, Dr. Stanislav Malik einfallen lassen. Der katholische Kirchenchor hieß die Gäste mit einem Konzert in der Stadtkirche willkommen. Im Wiederentdecken der Vergangenheit sah Bürgermeister Malik eine wichtige Aufgabe. Tradition und Vergangenheit seien untrennbar mit dem Christentum verbunden. Die Bürger müssten die Vergangenheit auseinandersetzen, indem sie sich mit der Geschichte befassen und konservative Werte wieder finden. Einen Schwerpunkt sah der Bürgermeister in dem Erhalt der Baudenkmäler. Das ehemalige Kloster in Borovany wurde renoviert.

Deutsche Minderheit Brücke zu Deutschland und Österreich

Auf dem Seminarprogramm stand weiter ein Besuch des Adalbert-Stifter-Zentrums in Oberplan. Der Geschäftsführer des Zentrums, Horst Löffler, stellte diese Institution vor. Das Zentrum werde auch von der Bevölkerung von Oberplan gut angenommen. Es habe bisher keine keinerlei Angriffe gegeben. Die Einrichtung arbeite mit deutschen und tschechischen Museen zusammen. Bekannt geworden seien die "Oberplaner Gespräche".

Löffler ging weiter auf die Lage der deutschen Minderheit in der Tschechischen Republik ein. Von staatlicher Seite wurde die deutsche Volksgruppe als Minderheit anerkannt. Ihre Lage bezeichnete er jedoch als schwierig. Nur die ältere Generation fühle sich zur deutschen Minderheit zugehörig. Die Jüngeren hingegen nicht, zumal sie kaum die deutsche Sprache beherrschten. Der Fortbestand der deutschen Minderheit sei nicht gesichert. Er beklagte, dass Deutsche, die in der Tschechischen Republik arbeiteten, keine Kontakte zur deutschen Volksgruppe hätten.

Die deutsche Minderheit kam auch zu Wort. Die Vorsitzende des Böhmerwaldvereins, Frau Emma Marx, zitierte aus der Satzung des Vereins. Als Zweck nannte sie, zu guten nachbarschaftlichen Beziehungen zwischen Bürgern der Tschechischen Republik, der Bundesrepublik Deutschland und Österreichs beizutragen. Die Mitglieder verbinde vor allem die Beziehung zum Böhmerwald, zu seiner Natur, zu den Kulturdenkmälern und "zu Persönlichkeiten, die hier leben oder in der Vergangenheit lebten". Sie berichtete über die Aktivitäten des Vereins. Einmal jährlich finde der Böhmerwaldtag statt. Auch würden Feiern am Muttertag, zu Ostern und Weihnachten veranstaltet.

Tschechische Republik atheistischstes Land in Europa?

Im Programm enthielt auch einen Besuch der Theologischen Fakultät der Südböhmischen Universität in Budweis. Der Dekan der Fakultät, Jiri Kasny, gab einen Überblick über die Studiengänge. An der Fakultät könnten auch Sozialwissenschaften studiert werden.

Dozenten Dr. Ludmila Muchova führte aus, die Fakultät sei für jeden offen. Da lebenslanges Lernen heute erforderlich werde, biete die Fakultät Kurse für die Allgemeinheit an. Einen breiten Raum nehme die Fortbildung ein.

Nach der Einschätzung von Ludmila Muchova gehen in der Tschechischen Republik die christlichen Werte verloren. Die kommunistische Zeit wirke heute noch nach. Damals habe man die Religion als "Opium des Volkes" bezeichnet. Die Tschechische Republik nannte sie das atheistischste Land in Europa. Religionsunterricht in der Schule finde nur auf freiwilliger Basis statt. Zur Situation in der Fakultät bemerkte sie, die Mehrheit der Studenten sei nicht gläubig. Man habe aber eine Methode entwickelt, um an die Studenten heranzukommen. In Form eines philosophisch geführten Dialogs würde durch Diskussionen ein Ergebnis erarbeitet. Als wichtig sah Frau Muchova die Tatsache an, dass man sich begegne und gegenseitig respektiere.

Dekan Adolf Pintir kam zu einer anderen Bewertung. Er sah die Lage der katholischen Kirche nicht so schwarz. Sonntags besuchten in Budweis etwa 2.500 Gläubige die Heilige Messe. Allerdings gebe es einen akuten Priestermangel. Zwei Priester im Alter von 87 und 91 Jahren müssten den Gottesdienst halten.

"Historische Ungerechtigkeiten" müssen auf beiden Seiten anerkannt werden

Wladimir Feldmann schilderte die Verfolgung der katholischen Gläubigen durch die Kommunisten in der Tschechoslowakei. Viele Priester hätten nach der Machtübernahme durch die Kommunisten aus der Tschechoslowakei fliegen müssen. Es habe eine Untergrundkirche bestanden. Die Priester mussten im Geheimen geweiht werden. Erst nach der Wende hätte sich die Kirche frei entfalten können. Die Freiheit habe den Weg zur Verständigung geöffnet.

Der katholischen Kirche komme die Aufgabe zu, die Verständigung mit dem gesamten deutschen Volk, mit den vertriebenen Sudetendeutschen und mit der deutschen Minderheit in der Tschechischen Republik zu fördern.

Helena Faberova von der tschechischen Ackermann-Gemeinde machte die Teilnehmer mit den Zielen ihrer Organisation bekannt. So sollen gegenseitige Vorurteile überwunden werden. "Wir bemühen uns die von beiden Seiten begangenen historischen Ungerechtigkeiten anzuerkennen, die Rechte der Minderheit zu unterstützen", führte sie aus. Weiter trete die Ackermann-Gemeinde für ein bewusstes "Europatum" unter Beibehaltung der eigenen Identität ein. Besonders würden Aktivitäten unterstützt, die zu guten Beziehungen zwischen tschechischen und deutschen Bürgern führten.

Gratzen einziges Servitenkloster in Böhmen

Bei einem Besuch des Klosters Gratzen zeigte Pater Georg Erhardt die Schwierigkeiten bei der Renovierung auf. Das Kloster sei eine Unterkunft der Grenzpolizei gewesen. Damals habe man die Gebäude verfallen lassen. Heute stehe das Kloster für Familien und Seminarveranstaltungen zur Verfügung.

In Gratzen befindet sich das einzige Servitenkloster Böhmens. Der Orden der Diener Mariens oder Serviten ist gekennzeichnet durch eine ausgeprägte Marienverehrung.

Begriff der Heimat ohne nationalistische Tendenzen

Seminarleiter Adolf Wolf setzte sich mit der Frage auseinander, ob es eine gemeinsame Heimat Europa gibt. Nach seiner Auffassung sind unter dem Begriff Heimat der Ort und die Landschaft zu verstehen, mit der man sich geistig und seelisch verbunden fühle. Diese Auslegung treffe für viele Heimatvertriebene zu. Die Liebe zur Heimat habe nichts mit territorialen Forderungen zu, sondern sie trage zur Verständigung bei. Nach einer Studie der Arbeitsgemeinschaft Politik und Zeitgeschichte vom März 2007 sei für deutsche und tschechische Jugendliche die persönliche Bindung der Hauptgrund für die Heimatverbundenheit. Wolf nannte es als ein erfreuliches Zeichen, dass es auf beiden Seiten diesbezüglich keine nationalistischen Tendenzen gebe. Europa sei eine politische Gemeinschaft. Von Heimat im vorstehenden Sinne könne nicht gesprochen werden.

Adolf Wolf
Dezember 2007