Landesversammlung der Landesgruppe Hessen der Sudetendeutschen Landsmannschaft in Friedberg-Ockstadt

Die sudetendeutsch-tschechische Vergangenheit darf nicht verdrängt werden

Tschechische Regierung erneut zu Gesprächen aufgefordert

Im Mittelpunkt der Landesversammlung der Landesgruppe Hessen der Sudetendeutschen Landsmannschaft (SL) stand das Verhältnis der tschechischen Regierung zu den vertriebenen Sudetendeutschen. In einer Entschließung forderten die Delegierten Gespräche zwischen der Regierung der Tschechischen Republik und Repräsentanten der Sudetendeutschen Landsmannschaft als Vertreter dieser Volksgruppe. Die Äußerung von Premier Jiri Paroubek, die Sudetendeutsche Landsmannschaft sei kein Gesprächspartner und die Erklärung von Präsident Vaclav Klaus, er werde auf eine solche Aufforderung nicht reagieren, verstießen eklatant gegen den europäischen Geist.

Herold: "Ein Recht im Unrecht gibt es nicht."

Zu Beginn seines Berichts erinnerte Landesobmann Alfred Herold an die wilden Vertreibungen im Jahre 1945 sowie an die sogenannte "organisierte Vertreibung" 1946. Man müsse hier von organisierter Unmenschlichkeit sprechen sowie von einem organisierten Verbrechen an Unschuldigen. Vorangegangene Verbrechen könnten nicht durch neue Verbrechen wieder gutgemacht werden. "Ein Recht im Unrecht gibt es nicht", stellte Herold fest. Der Landesobmann forderte, dass auch von der tschechischen Seite die Vertreibung als Unrecht anerkannt wird. Schuldeingeständnis und Versöhnungsbereitschaft seien nicht konkurrierende Begriffe, sondern einander bedingende Begriffe, fügte er hinzu. Das Straffreistellungsgesetz vom 5.Mai 1946 dürfe kein Freibrief für begangene Verbrechen an Deutschen sein.

Auf die Vertreibung nach den Zweiten Weltkrieg eingehend sagte Herold : "Wer die Vertreibung vor 60 Jahren im Viehwaggon bewusst erlebt hat, der hat damals Schmerz und Trauer und Zorn empfunden". Nach dem Zorn sei Heimweh und die Erinnerung gefolgt. "Doch bei allem Schmerz blieb die Liebe zur Heimat".

Herold rief weiter das Eintreffen des ersten Vertriebenentransportes im Februar 1946 ins Gedächtnis. "60 Jahre Vertreibung" sei das Thema des Jahres 2006. In diesem Zusammenhang nannte die Veranstaltung in Weilburg an der Lahn. Auch habe das Hessische Fernsehen drei Film zu Thema Vertreibung gesendet. Er dankte dem Autor dieser Filme, Harald Henn, für sein besonderes Engagement.

Zentrum gegen Vertreibung muss in Berlin entstehen

Der Landesobmann trat ganz entschieden für das Zentrum gegen Vertreibungen ein. Die Diskussion darüber habe das Thema "Flucht und Vertreibung" in das kollektive Bewusstsein der Bevölkerung dringen lassen.
Er wies jegliche Ressentiments gegen dieses Vorhaben zurück und zitierte die Journalistin Helga Hirsch, die dazu bemerkte: "Deutsche Schuld soll hier nicht verwischt, deutsches Leid aber trotz der Schuld auch nicht mehr verschwiegen werden".

Herold wies weiter auf die gute Zusammenarbeit zwischen der Sudetendeutschen Landsmannschaft und dem Bund der Vertriebenen in Hessen hin. Dieses Modell habe sich bewährt. Man könne in dieser Beziehung eine stolze Bilanz vorweisen.

Mit Blick in den vollen Saal fuhr er fort, er freue sich besonders, "dass junge Leute hier im Saal sind und mitarbeiten wollen".

Dank an die Hessische Landesregierung

Abschließend dankte der Landesobmann der Hessischen Landesregierung, vor allem Ministerpräsident Roland Koch, Sozialministerin Silke Lautenschläger und dem Landebeauftragten der Hessischen Landesregierung für Heimatvertriebene und Spätaussiedler, Rudolf Friedrich, für die ideelle und finanzielle Unterstützung.

Aufhebung der Benesch-Dekrete gefordert

In seinem Grußwort forderte Landesbeauftragter Rudolf Friedrich die Tschechische Republik auf, die Benesch-Dekrete "endlich formal aufzuheben".

Friedrich sah in den Heimatvertriebenen eine Bereicherung für Hessen. Er lobte die Aufbauleistung und die damalige Bereitschaft zur Integration. "Deshalb sieht die Landesregierung eine besondere Verpflichtung gegenüber den Menschen, die entrechtet und aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Mit dem Regierungsprogramm hat sich die Regierung Koch verpflichtet, die Information über das Thema Vertreibung im Schulunterricht zu verbessern und die ostdeutsche Kulturarbeit nachhaltig zu fördern. Die Errichtung des Zentrums gegen Vertreibungen ist auch deshalb zu unterstützen, damit nach der Osterweiterung die Vertreibung der Deutschen aus ihrer Heimat als Unrecht im öffentlichen Bewusstsein bleibt", erklärte Friedrich.

In Vertretung des Vorsitzenden der FDP-Fraktion im Hessischen Landtag Jörg Uwe Hahn sprach Achim Güssgen ein Grußwort. Das Thema Vertreibung dürfe nicht verdrängt und Schuld nicht gegeneinander aufgerechnet werden, forderte er. Große Probleme bereiteten noch die Benesch-Dekrete. Güssgen lobte die grenzüberschreitende Arbeit der Sudetendeutschen, die zu einer guten Nachbarschaft beitrage.

Bereits 1949 Verständigung mit Tschechen gesucht

Während des Kalten Krieges sind die Vertriebenenverbände von den kommunistischen Regierungen der Ostblockstaaten diffamiert worden. Es geriet in den Hintergrund, dass kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs Vertreter der vertriebenen Sudetendeutschen und Tschechen eine Verständigung suchten. Zu diesem Themenkomplex referierte Staatssekretär a.D. und Bundesvorsitzender des Sudetendeutschen Sozial-und Bildungswerks, Wolfgang Egerter. Durch Dokumente wies er nach, dass die Sudetendeutschen kurz nach der Vertreibung auf ein geeintes Europa hingesteuert hätten. Hier zitierte er die Eichstätter Erklärung vom Dezember 1949, in der das Vertriebenenproblem in einem gesamteuropäischen Zusammenhang gestellt wurde. Die Vertreibung werde nicht als isoliertes Schicksal, sondern als Ausdruck einer allgemeinen geistigen Krise betrachtet. Die in Eichstätt Versammelten hätten das Vordrängen des Bolschewismus in engem Zusammenhang mit dem proslawischen Drang nach Westen gesehen. Es sei dabei nicht um das Selbstbestimmungsrecht einzelner Nationen, sondern um Europa gegangen. Zu der besonderen Problematik Tschechen und Sudetendeutsche habe die Eichstätter Erklärung auf Rache und Vergeltung verzichtet, jegliche Kollektivschuld abgelehnt und die Rückgabe der Heimat in den Sprachgrenzen von 1937 für eine unabdingbare Forderung gehalten. Die Lösung für gut nachbarschaftliche Beziehungen sah man in einer föderalistischen Gesamtordnung Europas.

Sudetendeutsche Landsmannschaft alleinige Vertretung der Volksgruppe

Als weiteres Friedensdokument führte Egerter die Detmolder Erklärung vom Januar 1950 an. Die wichtigste Aussage sah er im ersten Satz, in dem es heißt: "Die Sudetendeutsche Landsmannschaft betrachte sich als die außerhalb der Heimat gegebene Gestaltung der sudetendeutschen Volksgruppe und diese als Glied des deutschen Volkes. Sie ist sich erst recht in der Notzeit der Schicksalsverbundenheit mit Deutschland bewusst.". Egerter stellte heraus, ohne die Sudetendeutsche Landsmannschaft würde die sudetendeutsche Problematik in Prag nicht zur Kenntnis genommen.

Wiesbadener Abkommen Leuchtturm in den Verständigungsbemühungen

Als dritten Leuchtturm in den sudetendeutschen Friedensbemühungen bezeichnete der Referent das Wiesbadener Abkommen vom 4. August 1950, das zwischen General Prchala für den Tschechischen Nationalausschuss und der Arbeitsgemeinschaft sudetendeutscher Interessen geschlossen wurde. Egerter charakterisierte General Prchala als einen entschiedenen Gegner von Benesch, der dessen Pläne zur Nachkriegspolitik ablehnte. Weiter bewertete er das Wiesbadener Abkommen als ein Zeugnis sittlicher Reife in einer Zeit, da das Leid, das sich Tschechen und Sudetendeutsche gegenseitig angetan hatten, noch frisch in Erinnerung war. Als besonders wichtig fand er die Aussage, nach der sich beide Seiten zu einer demokratischen Weltanschauung bekannten und jedes totalitäre System ablehnten. Wörtlich fuhr Egerter fort: "Sie wollten alles für die Befreiung des tschechischen Volkes tun, weil sie darin die Voraussetzung für die unabdingbare Rückkehr der Sudetendeutschen in ihre Heimat sahen. Jede Kollektivschuld wurde abgelehnt, die Schäden, die dem tschechischen Volk wie den Sudetendeutschen zugefügt wurden, sollten wieder gutgemacht werden und die geistigen Urheber dieser Schäden bestraft werden. Über die endgültigen staatspolitischen Verhältnisse sollten die Völker in Freiheit entscheiden".

Egerter bedauerte, dass dieses Abkommen durch die am 5.August 1950 verkündete Charta der deutschen Heimatvertriebenen von der Öffentlichkeit weniger zur Kenntnis genommen wurde.

"Manifest Versöhnung 95" blieb erfolglos

Weiter warf der Referent einen Blick auf das Manifest "Versöhnung 95". Tschechen und Sudetendeutsche hätten einen Entwurf erarbeitet, mit dem zur Lösung der offenen Fragen Gespräche mit der tschechischen Regierung und der politischen Repräsentanz der Sudetendeutschen vorgeschlagen wurden. Zur Beurteilung der Vergangenheit sei ein gemeinsamer Standpunkt für erforderlich gehalten worden. Weiter müsste den Sudetendeutschen, die es wünschten, eine Rückkehrmöglichkeit in die Heimat eröffnet werden. Egerter bedauerte sehr, dass diese gemeinsame Initiative im Sand verlief.

Würdige Bestattung sudetendeutscher Opfer gefordert

In einer Entschließung, die einstimmig angenommen wurde, forderten die Delegierten die tschechische Regierung zu Gesprächen mit Vertretern der Sudetendeutschen auf. Die ablehnende Haltung der tschechischen Regierung verstoße gegen den europäischen Geist.

Weiter mahnten die Delegierten an, dass zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik unverzüglich ein Abkommen über die würdige Bestattung von Ziviltoten, die nach dem Zweiten Weltkrieg Opfer von Massakern durch die tschechoslowakische Arme, Partisanen und Zivilisten wurden, abgeschlossen wird. Diese Opfer seien heute noch in Massengräbern verscharrt.

In der Entschließung heißt es dazu: "Europäische Kulturnationen sind es ihren Toten schuldig, dass sie würdig bestattet werden".

Adolf Wolf