SL Hessen

65 Jahre Wiesbadener Abkommen - ein Dokument der Versöhnung

Tschechische Ministerin spricht beim Festakt im Hessischen Landtag

Der Sudetendeutsche Rat und die Sudetendeutsche Landsmannschaft in Hessen hatten am 16. Juli 2015 zu einem Festakt im Foyerbereich des Hessischen Landtages in Wiesbaden unter der Schirmherrschaft des hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier eingeladen. Anlass für das Zustandekommen des so genannten Wiesbadener Abkommens vor 65 Jahren am 4. August 1950 war die Schaffung einer gerechten Völker- und Friedensordnung in Europa. Teilnehmer dieser Zusammenkunft waren damals Vertreter des tschechischen Nationalausschusses und der Arbeitsgemeinschaft zur Wahrung sudetendeutscher Interessen. In diesem Abkommen wurde der Wunsch beider Seiten bekundet, in der damaligen Tschechoslowakei demokratische Verhältnisse herzustellen und den Sudetendeutschen die Rückkehr in ihre Heimat zu ermöglichen. Ähnlich wie in der Charta der deutschen Heimatvertriebenen wird darin eine Kollektivschuld für das gegenseitig zugefügte Unrecht abgelehnt, gleichzeitig aber eine Bestrafung der Hauptverantwortlichen gefordert.

Seitens der Arbeitsgemeinschaft zur Wahrung sudetendeutscher Interessen unterschrieben Rudolf Lodgman von Auen, Hans Schütz und Richard Reitzner, für den Tschechischen Nationalausschuss neben Lev Prchala auch Vladimír Pekelský. Dieses so genannte "Wiesbadener Abkommen" ist aus heutiger Sicht um so höher zu bewerten, da es zu einer Zeit getroffen wurde, als der gewaltsame Verlust von Haus, Hof und Heimat noch tiefe und unvernarbte Wunden hinterlassen hatte.

Reinfried Vogler, BdV-Vizepräsident und Präsident der Sudetendeutschen Bundesversammlung, hieß im Namen der Veranstalter zahlreiche Ehrengäste willkommen: u.a. Stefan Grüttner, Hessischer Minister für Soziales und Integration, Michaela Marksova-Tominova, Arbeits- und Sozialministerin der Tschechischen Republik, Norbert Kartmann, Präsident des Hessischen Landtages, Ulrich Caspar (MdL), mehrere Vertreter des Stadtparlamentes Wiesbaden, Margarete Ziegler-Raschdorf, Landesbeauftragte für Heimatvertriebene und Spätaussiedler und ihren Vorgänger Rudolf Friedrich, die BdV-Vizepräsidenten Stephan Rauhut und Albrecht Schläger Schläger, Milan Horacek, Mitglied des BdV-Präsidiums, den Sprecher der sudetendeutschen Volksgruppe und SL-Bundesvorsitzenden Bernd Posselt sowie seine Stellvertreter Steffen Hörtler und Siegbert Ortmann, Günter Reichert, Vorsitzender der Sudetendeutschen Stiftung, SL-Bundesgeschäftsführer Christoph Lippert, den ehemaligen hessischen SL-Landesobmann Alfred Herold, Peter Barton, Leiter des Sudetendeutschen Büros in Prag sowie Vertreter von SL-Landesverbänden und anderer Landsmannschaften.

Hartmut Koschyk, Beauftragter der Bundesregeierung für Aussiedler und Integration übermittelte den Teilnehmern des Festaktes eine Grußbotschaft, in der er auf die Bedeutung dieses Abkommens einging: "Das Wiesbadener Abkommen vom 04.08.50 ist das erste deutsch-tschechische Dokument der Verständigung und Versöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg. In diesem Schlüsseldokument haben die deutschen Heimatvertriebenen einerseits ihr Recht auf die angestammte Heimat gewahrt, andererseits aber die Hand zur aufrichtigen Versöhnung mit den neuen östlichen Nachbarn ausgestreckt."

Stefan Grüttner überbrachte in Vertretung des hessischen Ministerpräsidenten und Schirmherrn Volker Bouffier die Grüße der hessischen Landesregierung. Auf das Wiesbadener Abkommen eingehend: "Ohne den Blick auf das Leiden des anderen, ist Versöhnung nicht möglich. Es ist ein Verdienst des Wiesbadener Abkommens, dass die Unterzeichner im Blick hatten, ohne zu verharmlosen oder zu beschönigen oder gar gleichzusetzen. Ebenso wie die Charta der Heimatvertriebenen ist das Wiesbadener Abkommen ein Dokument der Versöhnung. Und dass diese Versöhnung nicht einfach werden würde, ist vor dem Hintergrund der vielen Opfer zu erwarten." Der Minister ging dabei auch auf den Begriff der "Heilung" im Zusammenhang mit der kürzlich erfolgten Satzungsänderung der Sudetendeutschen Landsmannschaft ein. Das Wiesbadener Abkommen stünde am Beginn einer solchen Heilung und bedeute heute mehr als nur materielle Heilung: nämlich die Heilung des Verhältnisses zwischen den Menschen. Es sei eine Heilung, zu der der Sudetendeutsche Rat und die Sudetendeutsche Landsmannschaft beitragen müssten.

Ein herzlicher Willkommensgruß galt der tschechischen Ministerin Michaela Marksova, die von vielen Sudetendeutschen schon seit Jahren für ihre Völker verbindende Offenheit geschätzt wird. In ihren Grußworten erinnerte sie an die Leiden von Deutschen und Tschechen am Ende des Zweiten Weltkrieges vor über siebzig Jahren, aber auch an das über 1000-jähriige friedvolle Zusammenleben zwischen Deutschen, Tschechen und Juden in den Böhmischen Ländern. Heute sei es wichtig, das Zusammenwachsen der Staaten innerhalb der Europäischen Union zu fördern und weiterzuentwickeln.

"Heute befinden wir uns hier, weil vor 65 Jahre das Wiesbadener Abkommen unterschrieben wurde. Wir können es als ersten offiziellen Versuch, die deutsch-tschechischen Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg wieder in normale Gleise zurückzugeben, verstehen." Viele Menschen hätten inzwischen über die Europäische Union keine gute Meinung. Sie wies darauf hin, warum die EU gegründet wurde: dass kein Krieg mehr in Europa entstehen dürfe. "Und das dürfen wir nicht vergessen! - Die Zukunft ist nicht nur in der engen Zusammenarbeit unserer beiden Länder, sondern unsere gemeinsame Zukunft liegt in einem gemeinsamen Europa, in der gemeinsamen Europäischen Union."

Bernd Posselt spannte vor den Teilnehmern des Festaktes einen weiten Bogen über die historische Entwicklung beider Völker, - den Deutschen und den Tschechen. Auf das Wiesbadener Abkommen eingehend: "Wenn wir uns die Geschichte des Wiesbadener Abkommens anschauen, dann stellen wir fest, und das ist kein Wunder, dass ein Text, der 65 Jahre alt ist, heute manches darin nicht mehr so formuliert würde, - sowohl von der Sprache als auch von dem Inhalt. Damals ging man noch davon aus, dass es zu einer kollektiven Rückkehr der Sudetendeutschen in die Jahrhunderte alten Heimat kommen würde. Man hat sich Gedanken gemacht, wie man das organisieren kann. - Das sind heute keine Themen mehr. Wenn man sich aber den Geist anschaut, in dem die Menschen miteinander gesprochen haben, dann kann dieser Geist für uns Heutige sehr viel sagen und uns in außerordentlicher Weise beflügeln." Diese Veranstaltung sei viel mehr als eine Gedenkveranstaltung: "Sie ist eine Wegmarke, und zwar ein sichtbare, in der Geschichte bleibende Wegmarke, - auf dem Weg in eine bessere Zukunft."

Mit Melodien von Anton Friedrich Smetana, Anton Dvorak und Ludwig van Beethoven hatte das Dialog-Quartett Frankfurt die musikalische Umrahmung für die Veranstaltung übernommen.

Text und Fotos: Helmut Brandl
Im August 2015