60 Jahre Vertreibung - Neubeginn in Hessen

Ausstellung im Stadt- und Bergbaumuseum Weilburg

Als Auftakt zu einer Gedenkveranstaltung anlässlich des Eintreffens des ersten Vertriebenentransportes in Hessen wurde im Stadt- und Bergbaumuseum in Weilburg eine Ausstellung mit dem Titel "60 Jahre Vertreibung - Neubeginn in Hessen" eröffnet.

Die Ausstellung gibt einen eindrucksvollen Einblick in die Verhältnisse vor 60 Jahren in Hessen.
Authentische Dokumente spiegeln die damalige Zeit wider. Für die heutige Generation sind die damaligen Verhältnisse nicht nachvollziehbar.

Während des Jahres 1946 mussten 397.185 Heimatvertriebene in Hessen aufgenommen werden, die in Viehwaggons aufgrund der Potsdamer Beschlüsse aus Böhmen, Mähren, der Slowakei und Ungarn vertrieben wurden.

In einem Bericht der Hessischen Landesregierung aus dem Jahre 1949 heißt es dazu: "Die Vertriebenen mussten nach monatelangem Lageraufenthalt im Ausweisungsland die lange Reise in Güterwagen zurücklegen; Kleinstkinder, hochschwangere Frauen und bewegungsunfähige Insassen von Altersheimen wurden nicht geschont. Von der Habe durften sie, von einem geringen Prozentsatz deklarierter Antifaschisten abgesehen, höchstens 1.000 RM und 50 kg Gepäck mitführen. Alle Wertsachen, sogar Eheringe, mussten sie zurücklassen".

Es bestand ein großer Mangel an Wohnungen, wie weitere Exponate zeigen.

In Hessen war der Wohnraum durch Bombenangriffe der Alliierten zu 18,1 % zerstört. 2,4 % des Wohnraums wurde durch die amerikanische Besatzungsmacht in Anspruch genommen. Es mussten Wohnraum beschlagnahmt werden. Die Einweisung der Heimatvertriebenen in Wohnungen erfolgte zwangsweise.

Die amerikanische Militärregierung befürchtete Anarchie und beauftragte die Wissenschaftler Prof. MacCartney-Oxford und Dr. Isaak- London das Flüchtlingsproblem zu untersuchen. In ihrem Bericht stellten sie fest: "Dass das Einströmen der Flüchtlinge nicht zu absolutem und unentwirrbaren Chaos führte, sondern ordnungsgemäß durchgeführt wurde, erscheint als ein Wunder".

Weiter heißt es dazu: "Es ist eine allgemein anerkannte Tatsache, dass von den drei Ländern der US- Zone die Lage der Flüchtlinge in jeder Hinsicht in Hessen am besten ist, am schlechtesten in Bayern, während Wbg/Baden zwischen beiden, jedoch näher an Hessen liegt".

Auch die Hessische Landesregierung untersuchte das Verhältnis zwischen "Wohnungsinhaber und Zwangsmieter" mit folgendem Ergebnis: In dem Bericht wird ausgeführt: " Eine Repräsentativzählung, die 1947 in 19 hessischen Gemeinden in unmittelbarer Befragung durchgeführt wurde, ergab, dass 80 Prozent in gutem Einvernehmen mit den Quartiergebern leben... Wie selbst ausländische Beobachter bestätigen, sind die in letzter Zeit auftretenden Reibungen zwischen Quartiergebern und Quartiernehmern nicht darauf zurückzuführen, dass der Quartiernehmer in der Regel ein Flüchtling ist. Die Ursache der Misshelligkeiten liegt in der allgemeinen Enge der Wohnverhältnisse. Das Bauernhaus ist für Vermietung nicht geeignet. Der Bauer ist es nicht gewohnt , eine fremde Familie in seinem Anwesen zu wissen".

Auch die damalige "Frauenfrage" wird dargestellt. Eine Studie des Ministeriums für Arbeit und Wohlfahrt weist darauf hin, "dass im Jahre 1946 die Ausweisungstransporte hauptsächlich Frauen mit Kindern und alte Leute nach Hessen brachten". Die Studie kommt zu der Schlussfolgerung: "Dass sich das Flüchtlingsproblem zum Teil zu einem Versorgungsproblem allein stehender Frauen entwickelt, wird durch die von den Standesämtern für das hessische Landesamt für Flüchtlinge erhobenen Heiratsstatistiken weiter untermauert. Das Ergebnis in 7 hessischen Kreisen bei 1962 geschlossenen Ehen zwischen Einheimischen und Flüchtlingen sind 70,4 Prozent der Heiratenden Flüchtlingsmänner, die einheimische Frauen ehelichen (meist Einheirat), während nur bei 29,6 Prozent der geschlossenen Ehen Flüchtlingsfrauen von einheimischen Männern geheiratet werden, zeigt deutlich, dass durch die stärkere Einheirat der Flüchtlingsmänner in einheimische Familien bei dem sowieso vorhandenen Frauenüberschuss für die Flüchtlingsfrau die Frage der Versorgung durch guten beruflichen Einsatz die Lebensfrage geworden ist".

Die Ausstellung befasst sich auch mit dem Wahlverhalten der Heimatvertriebenen.

Man hätte annehmen müssen, dass diese große Zahl heimat- und mittelloser Menschen sich extremen Parteien zuwenden würden. Nach dem erwähnten Bericht der Hessischen Landesregierung war das Gegenteil der Fall. Die Gemeindevertreterwahlen am 24.4.1948 brachten in Hessen folgendes Gesamtergebnis:
SPD 6.206 Sitze, davon Heimatvertriebene 1.184 (19,07 Prozent), CDU 4.427 Sitze, davon Heimatvertriebene 870 (19,6 Prozent,), LDP 1.198 Sitze, davon Heimatvertriebene (16,1 Prozent), KPD 614 Sitze, davon Heimatvertriebene 33 (5,3 Prozent), NPD 41, davon Heimatvertriebene 2 (4,8 Prozent), WG 12 038, davon Heimatvertriebene 2.473 (20,5 Prozent).

Der Landesobmann der Sudetendeutschen Landsmannschaft in Hessen bezeichnete die Integration der Heimatvertriebenen als eine der größten Gemeinschaftsleistungen in der Nachkriegszeit. Er dankte der einheimischen Bevölkerung. Rudolf Friedrich, Landesbeauftragter der Hessischen Landesregierung für Heimatvertriebene und Spätaussiedler sagte, die Ausstellung rufe "schmerzende Bilder" wieder in Bewusstsein. Vertreibung müsse weltweit geächtet werden.

Bürgermeister Hans-Peter Schick stellte besonders den Begriff Heimat heraus.

Die Ausstellung vermeidet Bewertungen der damaligen Verhältnisse. Ziel ist, ein objektives Bild der Nachkriegszeit zu vermitteln. Besonders für den Geschichtsunterricht in den Schulen ist die Ausstellung geeignet.

Adolf Wolf