Auf den Spuren des Grauens

Kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs verübten Sondereinheiten der tschechoslowakischen Armee, Revolutionsgarden und Zivilisten Massaker an der deutschen Bevölkerung im Sudetenland. Allgemein bekannt geworden, um nur zwei zu nennen, sind die Gräueltaten auf der Brücke von Aussig sowie der Todesmarsch von Brünn.

In letzter Zeit kamen weitere Massenmorde an Sudetendeutschen in der Umgebung von Teplitz ans Tageslicht.. Wir berichteten darüber.

Ein Kamerateam des Bayerischen Rundfunks drehte in Welboth und in Schima an den Orten des grausamen Geschehens. Der Autor dieses Beitrags begleitete das Team. Berichte darüber wurden im Bayerischen Fernsehen am 30.Oktober 2002 sowie am 6. November 2002 gesendet.

Der Name Leutnant Cerny verbreitete Angst und Schrecken

Welboth, ein Dorf in der Nähe von Teplitz ist ein verschlafenes Dorf. Auf der Straße ist niemand zu sehen. Einziger Arbeitgeber ist die eine Fabrik, in der Kosmetikartikel hergestellt werden. Heute deutet nichts darauf hin, dass dort kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs Sudetendeutsche auf grausame Weise hingerichtet wurden. Das Verwaltungsgebäude der Fabrik wurde frisch gestrichen.
Im Zweiten Weltkrieg war dort eine Munitionsfabrik. Von den früheren Anlagen sind nur ein Turm und einige Gebäude übrig geblieben.

Auf dem Gelände der Fabrik sind Sudetendeutsche auf bestialische Weise ermordet worden. Als grausamer Mörder wird der frühere Leutnant der tschechoslowakischen Armee Cerny genannt. Dieser Name damals in der Umgebung von Teplitz Angst und Schrecken. Ein Augenzeuge berichtete, etwa 30 -35 Deutsche seien aus Teplitz in die Munitionsfabrik in Welboth gebracht worden. Leutnant Cerny habe entschieden alle zu töten. Der Leutnant schoss mit einem Maschinengewehr auf die Deutschen. Zeugen sprechen von 99 Personen, die dort ermordet wurden. Sie sollen, wie Erich Koc in seiner Dokumentation schreibt, "rechter Hand vom Eingang der Fabrik, unweit der Mündung des Saubachs in einem Massengrab verscharrt" worden sein.

Dieses grausame Verbrechen führt auch der tschechische Historiker Tomas Stanek in seiner Dokumentation "Verbrechen 1945" an. Als Quelle wird ein Bericht des Staatssicherheitsdienstes Teplitz- Schönau genannt. Stanek führt 80 Tote an.

Deutschen Bauern an das Scheunentor genagelt

Mit dem Augenzeugen Eduard Sties fahren wir weiter nach Schima zu dem früheren Gehöft des Bauern Adolf Tropschuh. Eduard Sties sah, wie der Bauer Tropschuh an ein Scheunentor angenagelt war. Ein weiterer Zeuge, der auf dem Hof als landwirtschaftlicher Lehrling arbeitete, erinnert sich, zwei 20 - 25 jährige Männer hätten auf ihn und den Bauern Tropschuh geschossen, ohne zu treffen. Die Tschechen hätten beide schwer misshandelt und in das Badezimmer getrieben. In diesen Raum hätte man Gas einströmen lassen. Jemand zog den Zeugen aus dem Badezimmer. Der Bauer hätte das jedoch nicht überlebt. Er wurde von seinemKnecht mit der Schubkarre zum Friedhof gefahren.

Auf dem früheren Hof des Bauern Tropschuh spielen Kinder. Eine junge Frau kommt aus dem Haus. Wir fragen, ob wir die Scheune filmen dürfen. Sie stimmt zu, ohne sich nach dem Grund zu erkundigen. Die junge Frau sagt uns, sie hätte das Hausgrundstück erst vor zwei Jahren erworben.

Das Fernsehteam hat seine Dreharbeiten abgeschlossen und fährt zurück.

Auf der Brücke von Aussig spielten sich grausame Szenen ab

Am nächsten Tag fotografieren wir die Brücke über die Elbe in Aussig. Am Elbufer nimmt niemand Notiz von uns. Offensichtlich ist das Massaker an Sudetendeutschen auf dieser Brücke aus dem Bewusstsein der Bevölkerung verschwunden. 1945 spielten sich dort grausame Szenen ab. In der vom früheren Bundesministerium für Vertriebene , Flüchtlinge und Kriegssachgesche herausgegebenen Dokumentation heisst es dazu: "So wurde am 31. Juli 1945 wahrscheinlich die Unachtsamkeit ausgelöste Explosion eines Munitionslagers in dem Aussiger Vorort Schönpriesen von den Tschechen als Sabotageaktion des Wehrwolfs ausgelegt. Die aufgebrachte Menge veranstaltete daraufhin ein Blutbad unter der deutschen Bevölkerung, griff sie auf Straßen an oder holte sie aus den Wohnungen und machte sie nieder. Als die Arbeiter der Firma Schicht AG nach Arbeitschluss zu ihren Wohnungen strömten, wurden sie von einer fanatischen Menge auf der Brücke zusammengeschlagen, zum Teil auch niedergemacht oder in die Elbe geworfen. Selbst vor Frauen und Kindern machte der Mob nicht halt. Polizei und tschechisches Militär versuchten nicht, das Morden zu verhindern, sondern beteiligten sich sogar daran. Die genaue Zahl der Opfer wird sich nie ermitteln lassen. Die Angaben schwanken zwischen 1.000 und 2.700."

Eine Sudetendeutsche, die das Massaker erlebte berichtet uns mit stockender Stimme, wie sie mit ihrem Baby in die Elbe geworfen wurde. Durch eine Fügung sei sie mit dem Kind an Land gezogen worden.

Massaker an Deutschen in Postelberg

Auch Postelberg gilt als ein Ort des Schreckens. Dort richtete 1945 die tschechoslowakische Armee ein Massaker an Sudetendeutschen an. Im Juni 1945 befahl die tschechoslowakische Militärkommandantur allen männlichen Einwohnern von Saaz, im Alter von 13 - 65 Jahren, sich an bestimmten Plätzen zu sammeln. Die Saazer wurden in ein Internierungslager nach Postelberg getrieben. Dort waren nach tschechischen Quellen bis zu 5.000 Männer interniert.

In der Dokumentation von Tomas Stanek wird dazu folgendes ausgeführt: "Das Schicksal der in Postelberg internierten Deutschen war grauenvoll. Hier kam es zu Prügeleien und Folterungen unterschiedlicher Art, ferner wurden auch Massenhinrichtungen vollzogen." Tomas Stanek führt weiter aus: "Doch das, was sich hier abspielte, gehörte dabei offenkundig zum Allerschlimmsten aus einer ganzen Reihe von Tragödien des Zeitabschnitts Mai und Juni 1945 in Böhmen........"
"Die Massenexekutionen in Postelberg wurden Ende Mai durchgeführt, dort wurde auch noch während der gesamten Juni- Hälfte erschossen." Es wird von 800 ermordeten Sudetendeutschen gesprochen.

Wir haben die Information erhalten, dass sich das Lager auf einem ehemaligen Fußballfeld befand. Wir fragen in Postelberg zwei junge Tschechen danach. Einer davon erklärt sich bereit, uns dort hinzubringen. Er ist völlig unbefangen und sagt uns, heute könne man ohne weiteres über dieses Thema sprechen. Allerdings sollte man nach über 50 Jahren die Angelegenheit auf sich beruhen lassen.

Auf dem bewaldeten Gelände neben dem ehemaligen Fußballfeld sind noch Fundamente des früheren Internierungslagers zu sehen. In einem Gebüsch liegt eine Kranzschleife der Sudetendeutschen Landsmannschaft Österreichs als einziges Zeichen des Gedenkens an die ermordeten Sudetendeutschen.

Deutsche sind nicht der Gerechtigkeit, sondern den Rächern übergeben worden

Schon 1945 gab es Tschechen, die diese grausamen Verbrechen verurteilten.
Tomas Stanek führt in seinem Buch einen anonymen Beschwerdeführer an, der folgendes Schreiben an die höchsten tschechoslowakischen Staatsorgane richtete: "Nicht einmal die brutalen Deutschen haben sich ihrer Feinde auf solch einer Art und Weise entledigt, vielmehr haben sie ihren Sadismus hinter den Toren der Konzentrationslager verborgen". Ein Teil der Deutschen seien nicht der Gerechtigkeit, sondern den Rächern übergeben worden".

Die grausame Vergangenheit wird verdrängt

Im Hotel in Teplitz fragt uns ein älterer Tscheche nach dem Grund unseres Besuches. Wir berichten über die Fernsehaufnahmen. Er wird still und wirkt betroffen.

Auf dem Marktplatz von Teplitz spricht uns ein Mann mittleren Alters beim Fotografieren an. Er sagt, wir sollten nicht nur die renovierten Häuser auf dem Marktplatz fotografieren, sondern auch uns den Stadtteil Turn ansehen. Hier sähe es wie in einem Schweinestall aus. Die Kanäle seien verstopft. Dieser Stadtteil bestehe aus Plattenbauten. Auf die Sudetendeutschen angesprochen bemerkt er, was nach dem Krieg geschehen ist, sei vergessen. Es sollte nicht mehr darüber diskutiert werden. Es hätte nichts dagegen, wenn sich die Deutschen hier wieder ansiedeln würden. Deutsche und Tschechen müssten aber gleichberechtigt sein.

Adolf Wolf